Stadträte, Feinkost und die Siedlung im Wandel

Ein Stück Laufer Stadtgeschichte


Stadträte in der Siedlung

Um den Zweck einer Heimstätte zu erfüllen, mußte die Siedlung preisgünstig sein. Daher gab es auch keine Abwasserkanäle, sondern Sickergruben in den Gärten.

Auf die Umweltbedeutung einer Entsorgungsanlage kam man erst viel später. 1955 hat der Stadtrat die Kanalisation der Stammarbeitersiedlung angeordnet und den Auftrag an zwei Laufer Baufirmen erteilt.
Schon ein Jahr darauf wurden die Kärntner und Tiroler Straße asphaltiert.

Zu einer Zeit, als in Lauf noch viel wichtigere Straßenzüge unausgebaut blieben und ihre Bewohner beim Spazierengehen nicht nur staubige Schuhe bekamen, sondern manchmal auch durch ausgedehnte Regenpfützen waten mußten, blickten manche neidvoll in die asphaltierte Siedlung und sagten: "Kein Wunder, wenn da hinten die Stadträte wohnen."
Tatsächlich wohnten noch vor 28 Jahren zwei Laufer Stadträte in der Stammarbeitersiedlung. Obwohl sich die Mitgliederzahl im Stadtrat von 21 auf 31 erhöht hat, ist heute, 50 Jahre nach der Siedlungsgründung, im weiten Umkreis kein Stadtrat mehr ansässig.

Aus dem gesamten erweiterten linken Laufer Stadtteil mit nahezu 8.000 Einwohnern ist nur noch ein einziges Mitglied im Stadtrat vertreten.

Die Versorgung heute

Die Gasleitung in der Siedlung, die erst Ende 1939 verlegt wurde, hat die Energie-und Wasserversorgungs AG Nürnberg ab 1970 auf Erdgas umgestellt.
Der elektrische Strom wurde von Dachständer zu Dachständer weitergeleitet.
Im Zuge des wachsenden Wohlstandes ließ sich nach und nach jeder Siedler einen Fernsprecher einrichten.
Stromleitungen und Telefonkabel verwebten zusammen ein Drahtgeflecht am Siedlerhimmel, zu dem ein Fachmann meinte: "Das sieht ja schlimmer aus, als in Italien."

Erst 1987, als die Post ihre Nabelschnüre unterirdisch verlegte, schalteten die Städtischen Werke schnell und ließen kurzfristig die Stromkabel im selben Straßengraben verschwinden. Aber auf eine Anfrage beim Fernmeldeamt Nürnberg, ob man nun nicht auch gleich die Fernsehkabel mit verlegen könnte, lautete die Antwort: "Daran haben wir noch gar nicht gedacht."

Essen und Laufen

Der ehemalige Kolonialwarenladen des Wilhelm Fischer hatte zuletzt als Kaufstätte Müller am 31.10.1971 seine Pforten geschlossen.
Allgemein bedauert wurde auch die Schließung des Siedlertreffs gegenüber. Die frische Metzgerswurst wurde 1965 zum letzten Mal dort verkauft und am 28. September 1973 verließen die letzten Stammarbeiter ihr Stammlokal für immer (oder doch nur vorübergehend?).

Noch ist die Siedlung nicht verloren.

Es wäre heute unfein, ein Feinkostgeschäft mit "Tante Emma" zu vergleichen, aber vielleicht ist es die angebotene feine Kost, die hier seit 1949 zur Tradition einer Siedlergemeinschaft verpflichtete und gegen den letzten Rest der Konkurrenz eisern aufrecht erhalten wird.
Dazu ein Schuhgeschäft, wo sogar die Laufer Weltelite einkauft und der Siedlung einen Hauch von Exklusivität verleiht.
So werden die Siedler wenigstenz mit Nahrung und Schuhen versorgt.

Die Siedlung im Wandel

Vom einfachen Siedlerhaus zur erweiterten Familienunterkunft oder einem ausgebauten Prestigeobjekt wandelte die Siedlung im Laufe der Zeiten ihr Gesicht.
Im Spannungsfeld altfränkischer Spitzgiebel mit Fensterkreuzen und Klappläden stehen sich pseudo-orientalische Flachbauten mit Rundbogen und mächtigen Außenkaminen gegenüber. Selbst Bäume wechselten von Kirsche, Apfel und Birne zu Blautanne und Thuja.

Mit dem Ausdruck eines individuellen Lebensstils haben sich die Siedler und deren Nachfolger seit der Errichtung der Siedlung befaßt und ihre eigene Gestaltungskraft eingesetzt.

Wer hierbei seine Ideen nicht nur von innen her entwickelte, sondern auch von außen – vom Blickpunkt der Straße - berücksichtigte, hat ein besseres Gespür für das Empfinden der Nachbarn gezeigt. Er hat sich mit dem Um- oder Ausbau in eine Gemeinschaft eingebunden, die wie das Eigentum verpflichtet. Denn die Siedlung wurde einstmals von der Stadt zum Wohle der Bürger gebaut, und die Bürger bewohnen sie zum Wohle der ganzen Stadt.
Eine Gemeinschaft auf Gegenseitigkeit.

Impressionen zum Abschluß

Die Siedlung ist ein Platz für den Feierabend.
Im Wechsel von mühevoller Selbsthilfe und der Freude des Genießens ist sie auf unsentimentale Art ein Stück Heimat geworden.
Abrackern und Ausruhen gehören zum Alltag des Siedlers. Schaffenskraft und Besinnlichkeit liegen hier so dicht beieinander, wie sie nur ein Siedler-Wochenende zu geben vermag.

Während samstags noch allerorten die Sägen kreischen, kehrt am Sonntag Ruhe ein.
Am Sonntag Morgen Einkehr halten und aufatmen.
Einem Tag in der Siedlung entgegensehen, der mit der aufgehenden Sonne Herrlichkeiten verspricht: einen sonnigen Siedlertag im Garten zwischen Gänseblümchen und Löwenzahn unter einem blauen Himmel.

Im blühenden Fächer-Ahorn summen die Koller'schen Bienen den Sommer ein. Der ganze Baum summt im Wettstreit mit den rauschenden Lastern auf der gar nicht fernen Autobahn durch unterlassenen Lärmschutz. Hier ein wohltönendes Schwirren und dort ein beständiges Dröhnen des ungeschützten Fahrverkehrs.

Darüber zieht Neunsingers Taubenzucht flügelschlagend ihre Kreise. Seit Jahren schon. Ab und zu durch einen Habicht aus dem Kiefernhang verkleinert.

Droben, bei ganz klarem Wetter, brummt die DC 4 des Nürnberger Flughafens ihre Übungsrunden.
Dazwischen die manchmal allzu frühen Amseln, Meisen und Grasmücken mit ihrem Gezwitscher und dann und wann im Hintergrund eine Melodie aus des Nachbars Recorder.

Wahrend der Blütenduft von Flieder und Jasmin die Sinne betäubt, ruft uns zuweilen der große Duft der Wetzendorfer Landwirtschaft wieder in die Wirklichkeit zurück.

Wie nahe auch Natur und Technik beieinander liegen mögen, zwischen Gänseblümchen und Löwenzahn, am Sonntag Morgen in verklärter Ruhe, wie sie nur einem beständigen Siedler widerfahren kann, erfüllt sich fast ein Traum, der übrig blieb von der Sehnsucht zur Scholle; - und was will man mehr.

 

 Die Chronik

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