Krieg, Kinder und die Straßennamen I
Ein Stück Laufer Stadtgeschichte
Der Mann in der Tonne
Ein Mann nahm eine Schaufel und grub in seinem Garten einen Graben. Einen halben Meter breit hob er ihn immer tiefer aus. Die Seiten an seinem Ende abstechend erweiterte er das Erdloch zu einer kreisrunden Vertiefung.
Stöhnend und schwitzend schaufelte er sachgemäß und mühsam, denn der Mann war ein Siedler. Am Spätnachmittag hatte sich der ausgeworfene, hell lehmige Sand immer höher getürmt und der Siedler Schaufel um Schaufel in den Boden gearbeitet, bis er nur noch als Büste stehend mit Kopf und Schultern aus dem Gemüseacker in der Tiroler Straße herausschaute. Dann nahm der Siedler eine Tonne, ein eisernes mit zwei Verstärkungsringen umgebenes großes Regenfaß, das unter dem Abflußrohr an der Hauswand stand. Er kippte es halb zur Seite, rollte es auf dem unteren Rand wie einen schrägen Kreisel an das Erdloch und ließ es dort langsam hinuntergleiten. Die Tonne wurde eingepaßt, senkrecht stehend mit der Oberkante den Erdboden abschließend. Nun nahm der Siedler einen Gartenschlauch, schloß ihn am Wasserhahn neben dem Haus an und zog die Düse unmittelbar zu der Erdtonne, wo er den Schlauch ablegte.
"Damit ich besser löschen kann," sagte der Mann, der ein Siedler war, und sperrte auf ein bestimmtes Zeichen seine Frau in den Keller. In einem kleinen Raum des halb unterkellerten Siedlerhäuschens mit einer Holzbank spärlich ausgestattet, setzte sich die Siedlerfrau in eine Ecke und wartete. Unser Siedler schloß die schwere eiserne Tür und drehte die beiden Riegel konisch abdichtend zu.
Jetzt ging er die Kellerstufen hinauf, trat vor das Haus, legte die Schaufel zur Sicherheit neben den Gartenschlauch und kroch, einer Schnecke gleich, in die Tonne. Hier kauerte er sich zusammen, zog einen dicken gezimmerten Holzdeckel über seinen Kopf und ließ einen schmalen Spalt offen. Durch diesen Spalt schaute er auf die Wand seines Siedlerhauses, lenkte den Blick langsam nach oben über das Dach in den Sternenhimmel - und schaute und schaute;
denn es war Krieg und Fliegeralarm.
Die Nacht der Siedlung
Lange bevor der Krieg am 2. September 1939 begann, wurde er geprobt. Als in Lauf zum zweiten Mal am 24.1.1939 Verdunkelungsübungen angeordnet wurden, mußte auch die Siedlung mitmachen. "Alle Gebäude sind so abzudunkeln, daß kein Licht nach außen dringt" stand auf großen roten Anschlagzetteln mit dem Zusatz, daß Verstoße mit Geldstrafe bis 150,-- Mark bestraft werden.
Am 31.März 1944, eine halbe Stunde nach Mitternacht, läutete beim Wasserwerker in der Tiroler Straße das Telefon und die Städtischen Werke meldeten, wie so oft in dieser Kriegszeit, Fliegeralarm. Der Wasserwerker nahm seine Sirene, eine heulende Drehleier als Handorgel des Jammers, und weckte die Siedler. Zusätzlich waren in der Tiroler und Kärntner Straße an je einem Lichtmasten Winkeleisen angeschraubt, an denen eine ca. 50 cm lange Eisenbahnschiene hing und darunter ein kleiner Hammer lag. Beim Ertönen der Sirene gingen die mit dem feinen Gehör zu der Schiene, nahmen den Hammer und schlugen dagegen, daß es wie eine helle Glocke durch die Siedlung klang.
Fliegeralarm um Mitternacht
In dieser Nacht schlugen die Bomben auch in der Siedlung ein. Brandbomben der Royal Air Force. Ein britischer Luftmarschall hatte Feuer vom Himmel befohlen, um die Kapitulation zu erzwingen. Das Ziel von 782 viermotorigen Bombern war Nürnberg, die Stadt der Reichsparteitage. Aber die ersten Flugzeuge drifteten nach Osten ab und setzten in der Nähe von Lauf ihre Markierungen.
Durch diesen Fehler wurde Lauf bombardiert. Brandbomben trafen auch die Stammarbeitersiedlung.
Einige Dachstühle brannten aus, etliche Bomben versanken in den Gärten.
Insgesamt wurden in dieser Nacht in Lauf eine ausländische Arbeiterin getötet, 95 Personen verwundet, 17 Wohngebäude total zerstört und 75 beschädigt.
Auf Anforderung des Bürgermeisters waren vom 16. bis 25. November 1944 acht Mann der Technischen Einsatzkompanie Schwandorf in Lauf, um die Kriegsschäden beseitigen zu helfen.
Der Bau im Baustop
"Nachdem der Baumarkt vollkommen ruht und größere Arbeiten überhaupt nicht durchgeführt werden können, erscheint es als doppelte Pflicht, für alle schwebenden Projekte Rücklagen zu schaffen, damit nach Beendigung des Krieges an deren Verwirklichung herangegangen werden kann." Das war der Entschluß des Bürgermeisters am 23. Februar 1943, denn die Stammarbeitersiedlung sollte ja die größte und schönste in Lauf werden.
Bei Krieg und Baustopp wurde die Wohnungsnot immer größer. Heute ist es kaum vorstellbar, daß im Jahre 1944 Maurer und Zimmerer in der Salzburger Straße nahe der Röthenbacher Straße für die Stadt insgesamt fünf Doppelbehelfsheime mit jeweils einem Raum ohne Unterkellerung durch ehrenamtliche Mithilfe erstellt haben. Während der einjährigen Bauzeit haben sogar der Bürgermeister, der hauptamtlicher Lehrer war, und der städtische Bauführer an vielen Samstagen und Sonntagen am Bau der Behelfsheime mitgearbeitet.
Die Häuser waren fast 30 Jahre lang zu einem monatlichen Mietpreis von 12,--Mark bewohnt und wurden dann nacheinander abgerissen und durch zwei Wohnblöcke ersetzt.
Die besetzte Siedlung
Als die Amerikaner kamen, suchte die Stadt Quartiere. Die Stammarbeitersiedlung war für alles ideal. Der Bürgermeister bediente sich der wenigen englisch sprechenden Einwohner als Dolmetscher und wies den Besatzern freie Plätze zum Übernachten an. Frei wurden die Häuser, die in der Tiroler und Kärntner Straße außen standen. Die Familien aus den äußeren Reihen mußten zwangsweise mit den "inneren" Siedlern zusammenziehen, damit die Sieger eine Unterkunft hatten. Dann parkten in der Tiroler Straße vier Wochen lang amerikanische Panzer.
Die Kärntner Straße mußte sie noch etwas länger erdulden. Während der immer noch kalten Jahreszeit richteten die Soldaten zwei zentrale Kochstellen mit offenem Feuer in der Siedlung ein, an die sich einige noch recht gut erinnern. Eine war vor der Gaststätte Perl und die andere auf dem südlichen Platz.
Sicherlich waren die Siedlerkinder die besonderen Lieblinge der Amis. Wenn auch mitunter einmal ein militärischer Außenseiter lieber die Kekse vor den hungrigen Kindern im offenen Feuer verbrannte, so dachte doch eine Siedlerin, die damals noch ein kleines Mädchen war, an die Zeit zurück und sagte verklärt: "Ach, die Amerikaner haben mich schon gemocht, die haben uns mit Schokolade verwöhnt."
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