Krieg, Kinder und die Straßennamen II
Ein Stück Laufer Stadtgeschichte
Siedlerkinder
Als es noch keine Fernsehantennen auf den Dächern und keine Kinos in den Wohnzimmern gab, suchten sich die Siedlerkinder ihre Spielplätze innerhalb und außerhalb der Heimstätten aus.
Ein begehrter Platz lag im Süden der Siedlung, der erst 1953 mit dem Doppelhaus Tiroler Str. 41 und Kärntner Str.36 bebaut wurde.
Hier spielte regelmäßig der Stammarbeiter-Nachwuchs. Aber nur einer von ihnen besaß einen Ball. Er war der Glücklichste der Kinder und alle standen nachmittags vor seinem Gartenzaun und warteten, bis er herauskam und das Spiel beginnen konnte.
Als er größer wurde und Geld verdiente, kaufte er sich das erste Motorrad in der Siedlung, eine bullige BMW mit Soziussattel.
Wenn er dann nach Hause kam und einige Runden durch die unbefestigten Siedlerstraßen drehte, fragte er die Kinder: "Willst mitfahrn?"
Sie hatten ihr Vergnügen dabei, denn da heulte kein Motor auf und sauste kein Stromlinien-Geschoß über den Asphalt, sondern es ritt nur ein wackerer Siedler auf seinem Gefährt vorbei.
Des Siedlers Sicherheit
Er grub an seiner Gartengrenze einen Graben.
Er war ein Siedler und wollte sich schützen, denn der Schreck saß ihm noch in den Gliedern, als er nachts unsanft aus dem Schlaf gerissen wurde, damals im Jahre 1965.
An dem Tag, als die Glasgow-Rangers gegen Borussia Dortmund zum Fußball-Europacup antraten und viele Fanatiker vor dem Bildschirm saßen.
Den Schlag wird unser Siedler nie vergessen, der nachts wie ein Erdbeben oder eine Bombe sein Siedlerhaus erschütterte.
Jetzt grub er ein tiefes Loch am Straßenrand in seinem Garten, wo die Tiroler Straße endet.
Als die Fußballfeier vorbei war und gegen Mitternacht alle heim fuhren, lag unser Siedler im Bett und schlief. Aber einer, der nach Hause wollte, gab Gas.
Nachts in der Tiroler Straße. So viel Gas, daß die Geschwindigkeit seines Pkw's den Bremsweg überschritt. "Jetzt ist es genug," sagte der Siedler und prüfte nochmals die Tiefe des Schachtes. Fast so tief, wie der Spaten lang war. "Das passiert mir kein zweites Mal," meinte er.
Vielleicht meinte das auch der Fußballfreund, der nächtens durch die Tiroler Straße raste und viel zu spät abbremste, als er nach Hause wollte. Anstatt dort abzubiegen, fuhr er geradeaus weiter, wo des Siedlers Haus die Tiroler Straße begrenzt.
Der Zaun war für den Pkw kein Hindernis. Einmal auf volle Touren gebracht durch den Motor in dem Pkw des Heimfahrenden, ohne Halt vor dem Zaun, wo jetzt der Siedler das Loch grub.
An dieser Stelle schmetterte das Fahrzeug gegen Mitternacht durch Zaun und Vorgarten an die Hauswand des Siedlers, daß Wand und Fenster und Haustür wie vom Erdbeben oder einer Bombe zerbarst.
Und dennoch gabs ein Überleben.
Doch der Siedler wiederholte: "Das passiert uns kein zweites Mal," und setzte in das ausgehobene Loch an der Gartengrenze einen schweren Eisenträger. Stark und mächtig. Nur zur Sicherheit des Siedlers.
Später wurde der Träger durch einen schöneren Waschbeton-Absatz ersetzt.
Siedlung ohne Ausgang
Wesentlich vorsichtiger verhielt sich der frühere Landrat, der damals noch in Röthenbach wohnte und abends nach einer Veranstaltung vom Letten kommend durch die Linzer Straße nach Hause fahren wollte, aber bereits in die Tiroler Straße nach links einbog.
Am Ende lenkte er nochmals nach links und führ die Kärntner Straße zur Linzer Straße vor. Dann weiter bis zur Tiroler Straße und wieder links hinein.
Nachdem er auf diese Weise zweimal die Stammarbeitersiedlung umrundet und dabei kennengelernt hatte, hielt er an und fragte einen ihm bekannten Siedler: "Nachbar, wo gehts denn hier raus?"
Dann wurde der Herr Landrat darauf hingewiesen, daß seine richtige Richtung rechts entlang geht, durch die Salzburger zur Röthenbacher Straße.
Straßennamen I
Der unter dem politischen Druck der Wehrmacht erfolgte Anschluß von Österreich an Deutschland und die mehrheitliche Abstimmung für den Anschluß der neuen "Ostmark" im Jahre 1938 war in der allgemeinen Euphorie der gegebene Anlaß, den Straßen der Stammarbeiter österreichische Namen zu geben. Eigentlich wurden österreichische Städtenamen beschlossen, aber der Stadtverwaltung fielen zunächst nur die schönen Urlaubsplätze Tirol und Kärnten ein, die sicherlich eine treffende Verbindung zu einer schönen Siedlung symbolisieren. Als Städtenamen folgten Linz und Graz.
Später sollte die größte in der Siedlung zu errichtende Straße den Namen der Landeshauptstadt Wien erhalten.
Straßennamen II
In der Nachkriegszeit entstanden Wohnungsprobleme ganz anderer Art. Unzählige Flüchtlinge und Heimatvertriebene mußten untergebracht werden. Etliche wurden in der Siedlung als Untermieter aufgenommen, aber die Räume reichten nicht aus.
Daher konnte auch die Stammarbeitersiedlung nicht, wie ursprünglich geplant, fortgeführt werden.
1953 legte die Kreishandwerkerschaft den Grundstein für mehrere Wohnblöcke mit insgesamt 110 Wohnungen.
Nun wollte sie unbedingt die zuführende Straße "Kreishandwerker Ring" benennen, aber der Stadtrat bestand auf sein "Österreicher Viertel" und führte die Städtenamen mit "Innsbrucker Straße" weiter.
Als Wiener Straße war sie allerdings nicht groß genug.
Straßennamen III
1956 plante die Landeswohnungsfürsorge Bayern GmbH den weiteren Ausbau mit Reihenhäusern, um die Baulücke zwischen Stammarbeitern und Kreishandwerkern zu schließen. Kärntner, Tiroler und Salzburger Straße wurden verlängert.
Nur eine kleine Ringstraße entstand neu, und der Stadtrat war sich darüber einig, dass wieder nur eine österreichische Stadt den Namen geben konnte.
"Wien" wäre schon längst fällig gewesen, aber dazu war die Straße zu klein. Man stand dafür auf "Steyr".
Straßennamen IV
1960 wurde an den südlichsten Zipfel der Siedlung zum vorläufig letzten Mal angebaut, und wieder entstand eine neue Straße. Einige Stadträte wurden zu recht ungeduldig, weil in einem derartigen Stadtteil unverzichtbar "Wien" als Hauptstadt vertreten sein muß.
Aber doch nicht für eine kurze Sackgasse. Da wählte man "Bregenz".
Der Stadtbaumeister versprach aber den Räten, daß als "Wiener Straße" noch ein großer geplanter Straßenzug zu erbauen ist und auf diesen Stammarbeiter-Boulevard warten wir noch heute.
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